Pressemitteilung von PRO BAHN Hessen vom 15.08.22

Von Auflage zu Auflage stetig schlechter:
Fahrgastverband PRO BAHN Hessen zur Reaktivierungs-Politik der Hessischen Landesregierung
"Downgrade" statt "Upgrade" in Tradition des Nicht-Handelns
zur Rettung und Reaktivierung regionaler Bahnstrecken
Falschdarstellungen in Bestandsaufnahme über Reaktivierungszahl
und Überbauungen, welche örtlich nicht vorhanden sind – Vorsatz zum Scheitern
Plätze 13 bis 15 Hessens im Ländervergleich beim Bahnwesen vernichtendes Urteil

HESSEN / DARMSTADT-DIEBURG / ODENWALD, 15.08.22.

Kritik an der Ambitions- und Ideenlosigkeit von Landesregierung, Verkehrsverbünden und einem großen Teil der 21 Landkreise übt der Fahrgastverband PRO BAHN Hessen, die er an der am 08.08.2022 vorgelegten „Übersicht zur Reaktivierung von Schienenstrecken für den Personenverkehr in Hessen“ festmacht. Während die fachlich fundierten Publikationen von Allianz pro Schiene, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, DGB und BUND Hessen stetig besser werden (Quellen siehe am Textende), wird die von der Landesregierung mitverantwortete Publikation stetig schlechter – sowohl von der Bearbeitungsqualität als auch vom Inhalt. Chancen durch veränderte Förderkriterien lässt die Politik bewusst ungenutzt, weil man dann mit politischer Überzeugungsarbeit seitens des Ministeriums. Statt lokalen Widerständen gegen Reaktivierungen aktiv zu begegnen, lässt das Land auch während der Amtszeit des Verkehrsministers weiterhin Eisenbahnstrecken stilllegen. In der achtjährigen Amtszeit des Hess. Verkehrsministers Al-Wazir wurden keine neuen Reaktivierungsprojekte im realen Ablauf gestartet bzw. umgesetzt. Reaktivierungsideen, auf die er sich beruft, waren zu seinem Amtsantritt schon lange in der öffentlichen Diskussion.

Von sich aus wird die Hessische Landesregierung bei Reaktivierungen grundsätzlich nicht tätig und erwartet immer erst ein Votum aus den Landkreisen und Kommunen, dass auf deren Anstoß Vorstudien und darauf folgend Machbarkeitsstudien, in Auftrag gegeben werden.

PRO BAHN Hessen mutmaßt Absicht:

Falschdarstellung mit 7 Reaktivierungen – es sind nur 1 längere Strecke und zwei sehr kurze

Als wirkliche Reaktivierung können nur die Untere Edertalbahn Korbach-Frankenberg (2015), Länge 31 km und die Pfungstadtbahn (2011), Länge 2 km, sowie die nördliche Taunusbahn Grävenwiesbach-Brandoberndorf, Länge 7 km, aufgezählt werden. Alles andere hat irgendwie Bezug zum Ausbau der S-Bahn Rhein/Main oder eine dazugehörigen Mischbetriebs im großstädtischen Umfeld bzw. kann fachtechnisch nicht als Reaktivierung bezeichnet werden.

Bewusst falsches Bewertungsverfahren angewendet

Obwohl die Bundesregierung mit der Neuauflage des „Standardisierten Bewertungsverfahrens“ die Neuberechnung des Nutzens reaktivierter Bahnstrecken ermöglicht und auch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung eindeutig positive Effekte auf die Entwicklung ländlicher Räume nachweist, lassen RMV, NVV und voran die Landesregierung zahlreiche Strecken durch das veraltete Raster vor Vorlage der erwähnten Neuauflage fallen.

Dies sind die potentiellen Opfer der Hessischen Landesregierung gegen Schienen für zukünftige Generationen im Bundesland:

a) Reinheim - Groß-Bieberau (Gersprenztalbahn)

b) Brandoberndorf-Albshausen und Grävenwiesbach-Weilburg (Solmsbachtalbahn und Weiltalbahn)

c) Dillenburg-Ewersbach (Dietzhölztalbahn)

d) Homberg (Efze)-Malsfeld (Nordhessische Kanonenbahn)

e) Kassel-Wilhelmshöhe-Bettenhausen (westlicher Teil Lossetalbahn)

f) Kassel-Naumburger Bahn im Teil hinter Baunatal

Obwohl bereits vom Bundesministerium für Verkehr ein neues Bewertungsverfahren angekündigt war, welches auch zum 01.07.2022 veröffentlicht wurde, sind die vorgenannten Strecken nach dem überalterten Verfahren untersucht worden, bei welchem von vornherein klar ist, dass eine stillgelegte Bahnstrecke außerhalb des urbanen großstädtischen Raums niemals die alten Kriterien zur Reaktivierung erfüllen wird. Man nennt dies auch „Vorsatz zum Scheitern“.

Für die erwähnten Strecken, sie liegen in ganz Hessen verteilt, kann die Landesregierung teils nicht einmal sagen, wieviel Fahrgäste die Züge nutzen würden.

Gesprenztalbahn

Keine Kenntnis von Fahrgastzahlen, so z. B. bei der Gersprenztalbahn, die mit Wissen von Verkehrsminister Al-Wazir (er wurde im November 2016 informiert) im Frühling 2018 für den Güterverkehr stillgelegt wurde, was eine Reaktivierung für den Personenverkehr deutlich verteuert.

Solmsbachtalbahn

Für die Solmsbachtalbahn und Weiltalbahn wurden viele Zugvarianten, wie Direktzüge nach Frankfurt und/oder zum Unicampus Gießen nicht einbezogen, das Potenzial wurde daher nur rudimentär untersucht.

Dietzhölztalbahn

Bei der Dietzhölztalbahn ließen die Gutachter trotz Reaktivierung die schienenparallele Buslinie nahezu unvermindert weiterfahren und setzten für den Bus Reisezeiten an, die nur wenige Fahrten erreichen, während die Züge den ganzen Tag über schneller als der Bus unterwegs wären und die Bahnstationen durchschnittlich nur 250 Meter von den Bushaltestellen entfernt liegen.

Nordhessische Kanonenbahn

Das überregionale Potenzial der nordhessischen Kanonenbahn zwischen Homberg (Efze) und Malsfeld bzw. sinnvoller Weise Melsungen oder Wabern, für Verkehre nach Kassel wurde nicht betrachtet, Durchbindungen wären möglich.

KS-Wilhelmshöhe – KS-Bettenhausen (westlicher Teil ehem. Lossetalbahn)

Im Kasseler Stadtgebiet unterblieb eine Betrachtung der Weiterfahrt der von Norden in Wilhelmshöhe ankommenden Regionalzüge auf der elektrifizierten Bestandsstrecke in den Bahnhof Kassel-Bettenhausen, um so den hoch belasteten Bahnhof Wilhelmshöhe zu entlasten.

Kassel-Naumburger Bahn

Auf der „Hessencourier“-Strecke Baunatal – Naumburg soll nur eine Teilstrecke untersucht werden. Hier zeigt sich in der „Übersicht“ der Landesregierung deren Desinteresse:
„Eine Prüfung der Machbarkeit wird … nur verfolgt, wenn die politischen Gremien der Region dies positiv bewerten.“

PRO BAHN Hessen mutmaßt Absicht: Falschdarstellung von Überbauungen auf Bahntrassen

 

Sehr vordergründig ist die Darstellung in der Bestandsaufnahme eingetragen, es gebe Überbauungen dieser stillgelegten Bahntrassen. Dem kann in diversen Fallbeispielen widersprochen werden, so ist die gesamte Solmsbachtalbahntrasse zwischen Brandoberndorf und Albshausen nicht überbaut. Dies erzeugt die Wirkung der schlechteren Bewertung, welche ja von diversen Seiten mit dem Vorsatz der Verhinderung der Schiene und zur Forcierung des Straßenbaus artikuliert wird.

 

Aber selbst die Reaktivierungs-Hoffnungsträger schneiden schlecht ab:

Lumdatalbahn / Horlofftalbahn

 

Lediglich zur Horlofftalbahn mit ihren geplanten Direktzügen nach Frankfurt wird eine Wiederinbetriebnahme für 2025 genannt. Selbst die Lumdatalbahn, welche von anderer Seite viel positive Wertungen erhält, bekommt in der Bestandsaufnahme noch nicht mal die Nennung eines anvisierten Datums der Wiederaufnahme des Personenverkehrs zuerkannt.

 

PRO BAHN Hessen wirft der Landesregierung daher vor, keine eigenen Aktivitäten zur Reaktivierung von Bahnstrecken zu entwickeln, vor allem nicht in ländlich geprägten Räumen. Dortigen politischen Akteuren fehlt, nach Erfahrung auch lokaler Reaktivierungs-Initiativen, oft das Basiswissen, der Weitblick und das Gefühl für die meist überregionale Bedeutung von Eisenbahnstrecken. Die Strecken sind ein deutschlandweites Netz eingebunden und müssen auch für den Güterverkehr wieder an Bedeutung gewinnen. Stattdessen stattet man Autobahnen mit Oberleitungen aus, auf welchen weniger als 20 dafür ausgerüstete LKW pro Tag unterwegs sind.

 

Fahrgäste und ihre Verbände erheben deutliche Forderungen für Hessen für eine Verkehrswende auf der Schiene in Hessen

 

Vom Land erwartet PRO BAHN, in Übereinstimmung auch mit dem BUND Hessen, eigene aktive Schritte:

·         Trassen stillgelegter Eisenbahnstrecken sind in den Regionalplänen der Regierungsbezirke, den Flächennutzungsplänen und den Bebauungsplänen der Kommunen zu sichern, Abweichungen wird von den Regierungspräsidien nicht zugestimmt.

·         Eine Entwidmung von Eisenbahn-Infrastruktur erfolgt nicht mehr. Anträgen zu Streckenstilllegungen wird nicht stattgegeben.

·         Das Land wird alleiniger Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV)

·         Das Land bestimmt allein, wo Eisenbahn reaktiviert wird. Die Kommunen werden beteiligt, das Land entscheidet final und durch die gesetzgebenden Organe allein.

·         Wenn sich für die Reaktivierung kein Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen findet, kümmert sich das Land mit einer 100%igen Landesgesellschaft darum.

 

Das Land Hessen belegt die Plätze 13 bis 15 bei den verschiedenen Bewertungen der Schienenverkehrsleistungen in den Bundesländern – miserable Bilanz nach über 8 Jahren schwarz-grüner Landesregierung.

 

Der Fahrgastverband PRO BAHN misst die Landesregierung zum einen an den Strecken, die ihn

ihrer Amtszeit – auch für den Güterverkehr – stillgelegt wurden, als auch an den Strecken, mit deren Reaktivierung in ihrer Amtszeit begonnen wurde.

 

Fundstellen von Fachorganisationen, die es deutlich besser machen

·         Allianz pro Schiene: „Auf der Agenda: Reaktivierung von Eisenbahnstrecken“, https://www.allianz-pro-schiene.de/wp-content/uploads/2020/07/200709_vdv_brosch%C3%BCre_reaktivierung-von-eisenbahnstrecken.pdf )

·         Deutscher Gewerkschaftsbund / DGB Hessen: „Mobilitätspolitisches Positionspapier für Hessen“, https://hessen-thueringen.dgb.de/++co++40f41e20-b238-11eb-8aaf-001a4a160123

·         BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands) BUND Hessen: Stellungnahme des BUND Hessen zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion, Seiten 4+5: https://www.odenwaldbahn.de/220621-bund-hessen-stellungnahme-schieneninfrastrukturgesetzentwurf-fdp.pdf

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