Auszug aus der Zeitschrift „Der Umsteiger“ 03/22 vom 11.09.22

„Jeder Meter Schiene hilft“
Lichtwiesentram Ende April 2022 ohne Bahn-Verknüpfung eröffnet
Takt-Verdichtung für viele Darmstädter Linien

DARMSTADT, 11.09.22.

Ohne Verknüpfung mit dem Eisenbahnnetz wurde am 25.04.22 die Lichtwiesentram eröffnet. Bei der Eröffnung wiederholte Verkehrsminister Al-Wazir seinen bekannten Satz: „Jeder Meter Schiene hilft.“ Das hatte er bereits im Frühling 2018 gesagt, in dem die Landes-Unterbehörde Regierungspräsidium Darmstadt die Stilllegung der Gersprenztalbahn Reinheim – Groß-Bieberau genehmigt hat. Deren gut 3.000 Meter Schienenstrecke fehlen ebenso wie die 500 Meter zwischen dem Odenwaldbahn-Haltepunkt Lichtwiese und der Endstation der Lichtwiesentram.

Insofern ist sie Lehrstück Darmstädter ÖPNV-Politik: Ein Problem, hier überlastete Buslinien, wird isoliert statt mit Netzwirkung betrachtet und nicht mit kommunalen Ergänzungsmitteln sinnvoll um einige Meter Strecke ergänzt. Kennen Sie? Richtig, in Kranichstein sind es 300 Meter von der Tramhaltstelle zum DB-Bahnhof, vor dem früher direkt die Darmstädter Stadtbuslinie hielt. Für diese 300 Meter hat es auch nicht gelangt, doch später baute der Trambetreiber Heag Mobilo auf eigene Rechnung eine Halle für Museumsfahrzeuge in die Kranichsteiner Wendeschleife.

Dabei war die Lichtwiesentram politisch höchst umstritten und nur mit knapper Mehrheit durchgesetzbar. Morgens vollbesetzt mit Studenten zum TU-Campus. Vollbesetzt, weil sie umlaufmäßig mit der Linie 3 gekoppelt ist, die wegen zu kurzer Haltestellen (im Stadtteil Bessungen und am Willy-Brandt-Platz) nur ohne Beiwagen verkehren darf. Leer kehrt die Lichtwiesentram morgens in die Innenstadt zurück. Kaum ein Odenwaldbahn-Fahrgast tut sich den langen Fußweg an, gerade im Herbst und Winter. Dann doch lieber den vollen Regionalbus ab Ostbahnhof nutzen.

Der im Nutzen-Kosten-Gutachten vorgesehene 7,5-Minuten-Takt mit 8 Fahrten pro Stunde wird an der Lichtwiese (noch?) nicht angeboten. Im 10-Minuten-Takt fahren die Tramlinie 2 und die Buslinie L. Nur hat letztere einen langen Wendeaufenthalt, so dass aus einer Vorlesung strömende Studenten lieber in den bereitstehenden Bus einsteigen, statt die nächste Tram abzuwarten. Der erhoffte Entlastungseffekt für die Buslinie L im Woogsviertel fällt dann aus. Immerhin wurde sie auf Betreiben der Darmstädter Oppositionsfraktionen vom 15- auf einen 10-Minuten-Takt umgestellt, was den Haltentfall Schulstraße teils kompensiert. Diese Haltestelle wäre vermutlich sonst überlastet, da auch die Tramlinien 3 und 9 nun Mo-Fr im 10-Minuten-Takt unterwegs sind. Die Takt-Umstellung der Buslinien ab der nicht-barrierefreien Zwangsumsteigestation Böllenfalltor nach Mühltal, Ober-Ramstadt und Modautal soll zum Fahrplanwechsel im Dezember 2022 erfolgen und eine bessere Verteilung der Fahrgäste auf die Busabfahrten bringen. Wegen der knappen Finanzmittel wird es weiterhin samstags Fahrplanlücken und sonntags keine Busse nach Trautheim geben.

Der städtische 10-Minuten-Takt, der neu auch samstags auf vielen Linien gilt, erscheint als lang erwartete Antwort der Politik auf die wachsende Einwohnerzahl Darmstadts. Der bis April 2022 weitgehend Mo-Fr gültige 15-Minuten-Takt mit Verdichtung auf einzelnen Linien bzw. zu Spitzenzeiten zum 7,5-Minuten-Takt kommt noch aus den 1990er Jahren, als Darmstadt unter 140.000 Einwohner zählte. Mittlerweile sind es 160.000 Menschen, nach dem 2011 erfolgten kommunalen Regierungswechsel ließ sich die grün-schwarz gelenkte Koalition reichlich Zeit für eine ÖPNV-Offensive. Diese ist jedoch im Vergleich zum Landkreis, der von Ende der 1980er bis heute von 260.000 auf fast 300.000 Menschen gewachsen ist, richtig lobenswert – sofern es nicht vom Ersatzverkehr betroffenen Strecken betrifft.

Zusätzlich zum erwähnten 10-Minuten-Takt nach Bessungen, ins Woogsviertel (Mo-Fr) und zum Böllenfalltor (Mo-Sa, wobei er an Sa schon länger angeboten wurde) wird Mo-Fr auch die Halb-Ringlinie R im 10-Minuten-Takt bedient. Vermutlich auch als Entlastung des missglückten Ersatzverkehrs nach Arheilgen gedacht, erfreut sich der dichte Takt großer Beliebtheit, da die Linie R gleich drei der fünf Kernstadt-Bahnstationen anfährt. Sogar am Wochenende, wo samstags nur alle 30 und sonntags alle 60 Minuten gefahren wird, sind dank Anpassung an den Halbstunden-Knoten am Darmstädter Hauptbahnhof teils sogar Stehplätze angesagt.

Noch nicht im 10-Minuten-Takt fährt die Buslinie F, obwohl sie den Hauptbahnhof mit dem frischernannten Welterbe Mathildenhöhe verbindet. Hingegen genügt der schon früher eingeführte gleiche Takt für die Buslinie H der Nachfrage nicht mehr, die daher Mo-Fr zwischen 7 und 9 Uhr, 12 und 14 Uhr und 16 und 20 Uhr um die in die Heimstättensiedlung verlängerte Buslinie K ergänzt wird. Nach intensiven Diskussionen, an denen sich auch der Dadina-Fahrgastbeirat beteiligt hat, wurde eine flotte Linienführung gewählt, die auch den Interessen von Anwohnern gerecht wird, die von den Vorteilen dichter Busfahrpläne noch nicht überzeugt sind.

Bisher weniger nachgefragt ist die Tram-Schnelllinie 10 mit dem Halbstundentakt Mo-Fr zwischen Griesheim Wagenhalle und Hauptbahnhof. Die stündlichen Regionalbahnen nach Frankfurt erreicht sie nicht, und in der Gegenrichtung sind nur 5 Minuten Übergang zur Tram bei verspäteten Zügen und vollen Treppenaufgängen eng. Die knappen Fahrzeug- und Personalressourcen wären nach Eberstadt und Alsbach besser eingesetzt. Alsbach, Jugenheim und Seeheim haben den 15-Minuten-Takt nur Mo-Fr in der Spitze, sonst nur Halbstundentakt. Wo in Eberstadt die Schnelllinie 6 nicht hält bzw. wenn die auf die Spitze reduzierte Tram 1 nicht fährt, ist der Fahrplan im Herbst 2022 dünner als zu Jahresbeginn.

Es bleiben also in Darmstadt noch viele ÖPNV-Aufgaben zu erledigen, um den Ansprüchen einer „Verkehrswende“ gerecht zu werden.

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